Einführung
Selbstwert beeinflusst, wie wir Entscheidungen treffen und ins Handeln kommen. Wer an sich glaubt, kann Risiken eingehen, Chancen ergreifen und wächst mit neuen Aufgaben. Ein stabiler Selbstwert gibt Sicherheit, auch wenn einmal etwas schiefgeht. Umgekehrt sorgt ein geringes Selbstwertgefühl häufig für Unsicherheit, endloses Grübeln und das Vermeiden von Entscheidungen. Viele Menschen fühlen sich davon wie gelähmt, obwohl sie sich nach Klarheit und Veränderung sehnen.
Wie Selbstwert die Entscheidungsfähigkeit bremst
Ein niedriger Selbstwert führt oft zu einer ständigen Angst vor Fehlern. Betroffene sind überzeugt, dass sie „falsche“ Entscheidungen treffen könnten. Sie fürchten negative Konsequenzen, Ablehnung oder Versagen. Darum analysieren sie jede Option immer wieder. Dieses Überanalysieren – auch „Overthinking“ genannt – blockiert die Fähigkeit, klare Entschlüsse zu fassen.
Häufig suchen Menschen mit geringem Selbstwert übermäßig nach Rückversicherung bei anderen. Sie hoffen, so Fehler zu vermeiden. Doch je mehr Meinungen sie einholen, desto verwirrter werden sie. Am Ende treffen sie oft gar keine Entscheidung, weil sich keine Option „sicher“ genug anfühlt. Selbst bei kleinen Entscheidungen, etwa beim Auswählen eines Gerichts im Restaurant, kann die Angst, die „falsche“ Wahl zu treffen, zu Stress führen.
Manchmal schieben Betroffene Entscheidungen vor sich her. Dieses Aufschieben, das sogenannte Prokrastinieren, fühlt sich kurzfristig erleichternd an, bringt aber langfristig noch mehr Unsicherheit und Selbstvorwürfe mit sich. Der Kreislauf schließt sich: Je mehr sie prokrastinieren oder zögern, desto mehr zweifeln sie an sich selbst – und ihr Selbstwert sinkt weiter.
Das Ergebnis: Stillstand. Chancen werden vertan, weil Angst und Unsicherheit das Handeln verhindern. Wünsche und Pläne bleiben unerfüllt, weil der Mut fehlt, sie umzusetzen.
Fallbeispiel: Jonas und die Angst vor falschen Entscheidungen
Jonas ist 29 Jahre alt und arbeitet als Softwareentwickler. Er ist zuverlässig, fleißig und wird von Kollegen geschätzt. Trotzdem fühlt er sich oft wie ein „Hochstapler“, der nur Glück gehabt hat. Schon in seiner Kindheit hat Jonas viel Bestätigung von außen gesucht und war schnell verunsichert, wenn er kritisiert wurde.
Im Beruf fällt es Jonas schwer, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Steht eine Aufgabe an, für die es verschiedene Lösungswege gibt, verbringt er Stunden mit dem Abwägen. Jonas liest jede Anleitung mehrfach, recherchiert unzählige Alternativen und fragt Kollegen nach ihrem Rat. Trotzdem fühlt sich keine Option richtig an. Häufig entscheidet Jonas sich letztlich so spät, dass ihm die Zeit für eine sorgfältige Umsetzung fehlt. Rückblickend ist er dann unzufrieden mit seinen Ergebnissen und zweifelt an seiner Kompetenz.
Auch im Privatleben zeigt sich ähnliche Unsicherheit. Jonas kann sich nur schwer entscheiden, wie er seine Freizeit gestaltet. Will ihn ein Freund zum Sport einladen, sagt Jonas häufig: „Ich überleg’s mir noch.“ Schließlich bleibt er oft zu Hause, weil er Angst hat, die falsche Wahl zu treffen oder Erwartungen nicht zu erfüllen.
Die Angst, „Nein“ zu sagen und jemandem damit zu enttäuschen, belastet Jonas zusätzlich. Er übernimmt Aufgaben, die er eigentlich nicht möchte, weil er Konflikte scheut. Eigene Wünsche drückt er selten aus. Am Ende fühlt er sich überfordert, ausgelaugt und ärgert sich darüber, nicht für sich selbst eingestanden zu haben.
Jonas merkt, dass ihm etwas fehlt. Er beobachtet, wie andere mutig neue Chancen ergreifen. Häufig denkt er, dass er nie so selbstsicher handeln könnte. Insgeheim fürchtet Jonas, dass ein Fehler sein Ansehen unwiderruflich zerstören könnte. Dieser Gedanke blockiert ihn in vielen Lebensbereichen. Selbst kleine Dinge, wie das Buchen eines Urlaubs oder das Ausprobieren eines neuen Hobbys, geraten zur mentalen Hürde.
Irgendwann wirkt sich die Unsicherheit auf Jonas‘ Wohlbefinden aus. Er fühlt sich immer passiver, vermeidet Veränderungen und traut sich immer weniger zu. Sein Selbstwert sinkt weiter – ein Kreislauf, der schwer zu durchbrechen ist.
Erklärung: Warum Selbstwert und Entscheidungsfindung zusammenhängen
Gutes Selbstwertgefühl bedeutet, mit sich selbst wohlwollend umzugehen. Menschen, die sich selbst akzeptieren, wissen: Fehler zu machen ist menschlich und kein Beweis von Wertlosigkeit. Sie können Rückschläge als Anlass betrachten, zu lernen und zu wachsen. Entscheidungen werden für sie zu Erfahrungsräumen, nicht zu Angstszenarien.
Wer hingegen glaubt, nur „perfekte“ Entscheidungen seien erlaubt, steht permanent unter Druck. Die Angst vor Fehlern wird so groß, dass der nächste Schritt gar nicht mehr gemacht wird. Eigenes Handeln oder Nichthandeln wird dann zum Maßstab für den Selbstwert empfunden.
Fehlt das Vertrauen in die eigene Urteilskraft, werden Verantwortung und Entscheidungen immer wieder abgegeben oder hinausgezögert. Dies führt zu Frustration und zum Gefühl fehlender Selbstbestimmung. Im Laufe der Zeit kann eine echte Entscheidungslähmung entstehen, die auch Lebensfreude und Motivation beeinträchtigt.
Wege zur Stärkung von Entscheidungskompetenz und Handlungsfähigkeit
1. Selbstmitgefühl entwickeln:
Wer freundlich mit sich selbst umgeht, kann Fehler besser verkraften. Es hilft, sich bewusst zu machen, dass jede Entscheidung auch Chancen zum Lernen eröffnet.
2. Entscheidungen üben – Schritt für Schritt:
Nicht jede Entscheidung muss „groß“ sein. Es lohnt sich, kleine Entscheidungen bewusst zu treffen und die eigenen Reaktionen zu beobachten.
3. Den inneren Kritiker erkennen:
Viele ungeprüfte Glaubenssätze verstärken die Angst. In der Therapie kann man lernen, diese zu identifizieren und realistischer zu hinterfragen.
4. Selbstwirksamkeit stärken:
Positive Erfahrungen werden gesammelt und bewusst gemacht. Jedes Mal, wenn eine Entscheidung getroffen wird und etwas gelingt, wächst das Vertrauen in die eigene Fähigkeit.
5. Unterstützung annehmen, aber nicht auslagern:
Feedback von außen ist sinnvoll, sollte aber die eigene Entscheidungskompetenz ergänzen, nicht ersetzen.
6. Achtsamkeit gegenüber der eigenen Bedürfnisse:
Eigene Gefühle und Wünsche wahrzunehmen, ist die Basis selbstbestimmter Entscheidungen.
7. Das Risiko akzeptieren:
Fehler sind keine persönliche Niederlage, sondern unvermeidbarer Teil jeder Entwicklung. Wer wagt, kann passieren, dass sich ein Weg als falsch herausstellt – doch nicht zu handeln, ist meist schädlicher.
Fazit
Ein gesunder Selbstwert ist die Grundlage für Entscheidungsfreude und Handlungsfähigkeit. Wer sich selbst vertraut, kann Chancen nutzen, seine Ziele verfolgen und auch mit Niederlagen umgehen. Psychotherapie bietet einen geschützten Raum, diese Fähigkeiten zu stärken und aus alten Mustern auszusteigen. Der Weg zu mehr Entscheidungskompetenz beginnt mit kleinen, konkreten Schritten und dem Mut, sich selbst anzunehmen – mit allen Unsicherheiten und Stärken.