Wenn die Seele hungert: Wie ein Leben an den Grundbedürfnissen vorbei uns krank machen kann
Jeder Mensch kommt mit einem einzigartigen biologischen Rüstzeug auf die Welt. Dieses angeborene Paket, unser genetisches Startkapital, beeinflusst maßgeblich, wie wir mit den Stürmen des Lebens umgehen – ob sie uns leichter oder schwerer fallen. So kann beispielsweise eine von Natur aus aktivere Amygdala – unser inneres Alarmsystem für emotionale Reize – zu einer geringeren Stresstoleranz oder einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber negativen Umwelteinflüssen führen. Man könnte auch sagen, manche Menschen sind von Haus aus mit dünnerer Haut oder einem sensibleren Nervenkostüm ausgestattet.
Wenn nun im Laufe unseres Aufwachsens bzw. unserer Entwicklung die tief ins uns verwurzelten psychischen Grundbedürfnisse unzureichend erfüllt oder negiert werden, entscheidet diese biologische Ausstattung entscheidend mit, wie tief dann Spuren hinterlassen werden. Dabei können psychische Wunden entstehen, die für einen Umgang mit dem Leben sorgen, der nicht zu Wohlbefinden und Zufriedenheit führt.
Man kann sich diese Grundbedürfnisse wie einen inneren Kompass vorstellen, der uns zu seelischem Wohlbefinden leiten möchte, oder wie die Wurzeln eines Baumes, die ihm Halt und Nahrung geben.
Die vier zentralen psychischen Grundbedürfnisse sind:
- Bindung: Das warme Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit mit anderen Menschen – ein sicherer Hafen in der Welt.
- Kontrolle und Autonomie: Das Ruder des eigenen Lebens selbst in der Hand zu halten, Entscheidungen treffen zu können und zu spüren, dass wir etwas bewirken können (Selbstwirksamkeit).
- Selbstwert: Sich selbst als wertvoll, kompetent und liebenswert anzuerkennen – ein stabiles inneres Fundament.
- Positive Emotionen (oder Lustgewinn & Unlustvermeidung): Die Fähigkeit, Freude, Genuss und angenehme Gefühle zu erleben und gleichzeitig Schmerzhaftes und Unangenehmes zu minimieren oder zu bewältigen.
Diese fundamentalen, in unserer EMOTIO – unserem emotionalen Kern – verankerten Bedürfnisse geraten oft unter Druck oder werden gar unterdrückt. Negative Lebenserfahrungen wie eine autoritäre, empathielose oder vernachlässigende Erziehung, aber auch eine überbehütende, zur Unselbstständigkeit führende Erziehung, sowie Traumatisierungen, Mobbing, extreme Moralvorstellungen, schwierige Lebensumstände etc. können tiefe Wunden schlagen.
Als Reaktion darauf entwickeln Menschen oft unbewusst Schutzmauern oder Notfallstrategien: Sie ordnen sich unter, ziehen sich zurück, lenken sich ab oder gehen in den Angriff gegen andere oder sich selbst (Innerer Kritiker). Der Fokus verschiebt sich dann weg von der Erfüllung der eigentlichen Bedürfnisse hin zur reinen Vermeidung weiterer seelischer Verletzungen oder deren Übertünchung durch rastlose Betriebsamkeit oder einen ständigen Kampfmodus.
Gesellschaftliche Werte und Normen, die beispielsweise Produktivität über emotionales Wohlbefinden stellen oder emotionale Distanz fördern – man denke an Sprüche wie “Ein Indianer kennt keinen Schmerz” oder “Jungen weinen nicht” – können diese Tendenzen noch verstärken. Sie wirken wie ein ständiger Gegenwind für unsere Bemühungen, auf unsere innere Stimme und unsere Bedürfnisse zu hören.
Bei anhaltender Missachtung dieser seelischen Grundnahrung schlägt unsere EMOTIO Alarm. Wie rote Warnleuchten auf einem Armaturenbrett oder schrille Alarmsirenen blinken dann Signale wie Angst, Niedergeschlagenheit, Scham oder auch körperliche Symptome auf. Diese Signale sind dringende Botschaften unserer Seele, die uns unmissverständlich anzeigen: “Achtung, hier fehlt etwas Entscheidendes! Deine Wurzeln bekommen nicht genug Nahrung!” Unsere EMOTIO ist dabei oft wie ein kraftvoller Motor, während die RATIO – unser Verstand – eher das Lenkrad darstellt. Einen so starken Motor kann man nicht dauerhaft ignorieren, unterdrücken oder zum Schweigen bringen. Ein fortwährender Kampf gegen diese inneren Signale, ein ständiges Schwimmen gegen den Strom der eigenen Emotionen, kann letztlich in psychische Erkrankungen münden – die Seele findet einen Weg, sich Gehör zu verschaffen.
Eine wirksame Psychotherapie setzt daher genau hier an: Sie hilft, den inneren Kompass – unsere Gedankenwelt, Einstellungen, Werte und Ziele – neu auszurichten. Ziel ist es, Verhaltensweisen zu fördern, die unsere Grundbedürfnisse wieder nähren und befriedigen. Das bedeutet oft auch, Akzeptanz für jene Umstände zu entwickeln, auf die wir keinen direkten Einfluss nehmen können. Entscheidend ist zudem der Aufbau von Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl, um den zermürbenden und destruktiven Kampf gegen vermeintliche eigene “Schwächen” zu beenden und Frieden mit sich selbst zu schließen.
Genetische und biologische Prädisposition
- Temperament und Reaktivität: Angeborene Unterschiede in der Erregbarkeit, Emotionalität und Selbstregulationsfähigkeit
- Neurobiologie: Nervensystem, Neurotransmitter, Stressregulationsfähigkeit
- Vulnerabilität und Resilienz: Genetisch bedingte Anfälligkeit oder Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen
Psychische Grundbedürfnisse der EMOTIO
- Bindung und Verbunden sein mit anderen Menschen
- Kontrolle, Selbstwirksamkeit und Autonomie
- Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz
- Streben nach positive Emotionen, Vermeidung negativer Emotionen
Frühe Verletzung der Grundbedürfnisse
Traumatisierung
Autoritäre, (emotional) vernachlässigende, unberechenbare oder überbehütende Erziehung
Übertriebene Erwartungen, Orientierung an bedürfnisfeindlichen gesellschaftlichen WertenEntwicklung von Schutzmechanismen
Vermeidung von Bedürfnisverletzung und negativen Emotionen
Ablenkung durch suchtartiges Verhalten, schnelle „Kicks“
Kampf gegen „Schwächen“, gegen sich selbst
Zu starke Orientierung an bedürfnisfeindlichen gesellschaftliche WertenChron. Missachtung der Grundbedürfnisse
Die Schutzmechanismen bedingen Verhaltensweisen wie Vermeidungsstrategien, die eine Erfüllung der Grundbedürfnisse verhinden. Es kommt in der Psyche zu einer innerer Spannung durch das Streben der EMOTIO hin zu Bedürfniserfüllung vs. der Ziele der RATIO, die die Grundbedürfnisse missachtet.
Warnsignale der EMOTIO
Die EMOTIO reagiert darauf mit:
Negative Emotionen, Missstimmungen, Energieverlust, Innere Unruhe, dauerhafte Anspannung
ersten psychischen Symptomen, körperlichen SymptomenRATIO ignoriert die Warnsignale
Der Kopf, also die RATIO nimmt die "Warnungen" der EMOTIO nicht wahr bzw. stemmt sich dagegen, daher bleiben Grundbedürfnisse weiterhin unerfüllt
Psychische Erkrankung
Das kontinuierliche Verhindern der Grundbedürfnisbefriedigung versetzt die Psyche in dauerhafte Spannung bis sich psychische Erkrankungen manifestieren.
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