Die 2 Seiten unseres Selbst: Die rationale und die emotionale Psyche
Um unsere Probleme lösen zu können, müssen wir unsere Innenwelt verstehen
Wir erleben uns im Alltag meist wie aus einem Guss: Unsere Sicht auf die Welt und der Wille unseres Handelns scheint aus einer Quelle zu kommen und wir haben das Gefühl, uns vollständig selbst steuern zu können. Das ist jedoch eine Illusion:
Der emotionale Teil unserer Innenwelt, die emotionale Psyche, umgangssprachlich Herz oder Bauchgefühl, beeinflusst uns weit mehr als uns bewusst ist. Er ist der entwicklungsgeschichtlich viel ältere Teil unseres Gehirns und kümmert sich um unser Überleben und die Erfüllung der körperlichen und emotionalen Grundbedürfnisse.
Unsere Gefühle und Motivationen dienen dabei als Hinweisgeber, ob unsere angeborenen Bedürfnisse erfüllt sind: Haben wir uns gut um die Befriedigung dieser Bedürfnisse gekümmert, sind Wohlgefühle wie Freude, Zufriedenheit oder Glück die Folge. Werden eines, oder mehrerer dieser Bedürfnisse übergangen, zeigt ein Unbehagen im Gewand von Angst, Schuld, Scham oder Traurigkeit oder Ärger oder innerer Anspannung diesen Umstand an.
Später entstand unser rationales System, die rationale Psyche, umgangssprachlich der Kopf oder Verstand, und dient uns zur Bewältigung von komplexen Situationen und solchen die eine vorausschauende Planung erfordern und kann mit seine Fähigkeiten, das emotionale System in seinen Aufgaben gut ergänzen und unterstützen.
Das emotionale System agiert mehr im Hier und Jetzt und kann komplizierte Umstände nicht verstehen. Beide Systeme ergänzen sich sehr gut in der Bewältigung von Lebensanforderungen, zumindest wenn sie Hand in Hand zusammenarbeiten!
Probleme entstehen, wenn unser Kopf sich über das “Ansinnen” der Emotion hinwegsetzen will und er dann Ziele verfolgt, die nicht mehr mit unseren Grundbedürfnissen übereinstimmen.
Stattdessen steht dann z.B. rigide Leistungsorientierung oder die Vermeidung von Anstrengung, Vernachlässigung von Erholungsphasen, Vermeidung von erfüllenden sozialen Beziehungen etc. im Vordergrund.
Das kann jedoch nur geschehen, wenn wir mit unseren Gefühlen nicht mehr in Kontakt sind und über diese hinweggehen. Unsere oft von unserer Erziehung oder der Gesellschaft herrührenden Vorstellungen, was wir zu tun oder wie wir zu sein haben, übernehmen das Zepter in unserer Lebensgestaltung. Dies kann längere Zeit gut gehen, am Ende wird sich unser emotionales System aber immer öfter und entschiedener über negative Gefühle oder unangenehme Körpersymptome melden und damit das psychische Leid immer größer und das Wohlbefinden immer geringer werden lassen.
Am Ende hat das Herz also das Sagen und hört nicht mehr auf uns zu vermitteln: “Kümmere dich um die für dich wirklich wichtigen Dinge!” Dann liegt es an uns, einen Kurswechsel im Leben und Umgang mit uns selbst vorzunehmen. Wenn wir aber in unseren Versuchen uns gegen das emotionale System durch Vermeidung oder Kompensation zu stemmen, im Kampf Kopf gegen Herz verbleiben, ist die traurige Folge ein Leben mit wenig Wohlbefinden oder ein unauthentisches, letztlich unbefriedigendes Leben.
In der Psychotherapie werden die Ursachen für das Auseinanderdriften zwischen Kopf und Herz und für die Tendenz, nicht mehr auf unsere emotionalen Bedürfnisse zu achten, herausgearbeitet. Danach werden Wege beschrieben, wie Kopf und Herz zu mehr Gleichklang finden können.
Bei dieser Reise kann es sich um eine kürzere in relativ unproblematischem Gelände handeln oder auch um eine lange Expedition in schwierigem Terrain und bei chaotischen Wetterbedingungen. Daher ist auch für eine gute Planung und Navigation und angepasste Ausrüstung zu sorgen. Auch Mut für die Reise und im besten Fall Neugier darauf müssen gefördert werden, damit die sie überhaupt losgehen kann.
Die emotionale Psyche
Kopf vs. Herz
In diesem Teil unserer Psyche gibt es keine Sprache, hier regieren Gefühle. Die Realität wird eher ganzheitlich, schnell und nicht sehr detailliert wahrgenommen. Alle Wahrnehmungen die wir mit der EP machen, werden in angenehm, unangenehm oder irrelevant eingeteilt. Die Aufmerksamkeit wird automatisch auf Neues und Bedrohliches gerichtet.
Aufgrund negativer vergangener Erfahrungen kann dieser Teil der Psyche “übersensibilisiert” sein und “sieht” z.B. Gefahren, auch wenn in der Realität keine zu finden sind oder der Eintritt der Konsequenzen einer Gefahr sehr unwahrscheinlich ist. Dann fällt logisches, realitätsbezogenes Denken und Planen schwer.
Die Gefühle der emotionalen Psyche motivieren uns, Situationen anzustreben oder zu vermeiden: So motiviert uns Freude, Situationen und Personen aufzusuchen, die uns gut tun. Angst bringt uns dazu, unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen, da die emotionale Psyche aufgrund ihrer Einschätzung von einer Gefahr ausgeht, egal ob diese real ist oder nicht:
Ein Beispiel wäre die Gefahr sich zu verletzen oder zu sterben, sozial gedemütigt zu werden, den eigenen Anspruch oder jenen anderer nicht zu erfüllen, Anerkennung zu verlieren etc.
Die emotionale Psyche hat ihre eigene Ausprägung des Selbstwertes (impliziter Selbstwert), der von jeder der rationalen Psyche abweichen kann.
Sind Gefühle sehr stark, kann dieser Teil der Psyche unser Handeln vollständig bestimmen und somit die rationale Psyche dominieren.
Emotionale Psyche: Erfasst die ganze Situation, nicht die Details, ist eher impulsiv, kommuniziert über das Gefühl, die Intuition, Vorurteile, Bedürfnisse und Körpersymptome. Sie verfolgt eigene Ziele, die zur Erfüllung der Bedürfnisse führen und führt zu schnellen automatischen Handlungsweisen und Entscheidungen, deren Hintergründe dem Verstand nicht immer klar sind. Sie lernt durch Erfahrung.
Die rationale Psyche
Kopf vs. Herz
Hier herrschen (langsame) Logik, Kausalität, Sprache, analytisches Denken, Verstehen und die faktische, beobachtbare Realität wird mehr in ihren Einzelheiten, weniger ganzheitlich wahrgenommen. Sie kann die Aufmerksamkeit bewusst nach unseren Wünschen ausrichten und Probleme in der Außenwelt oft gut lösen.
Die Rationale Psyche kann z.B. erkennen, dass eine vermeintliche Gefahr in der Realität keine relevante Bedrohung darstellt, auch wenn uns das Gefühl etwas Anderes erzählt. Oder Sie realisiert umgekehrt, dass in der Zukunft etwas Schädigendes passieren könnte, das die emotionale Psyche im Moment nicht im Blick hat und uns daher emotional dies nicht wissen lassen und damit nicht davor schützen kann.
Die Rationale Psyche wird von der emotionalen Psyche stark beeinflusst:
Tritt z.B. starke Angst oder Ärger auf, gelingt logisch-rationales Denken immer schlechter, Fakten werden nicht mehr realistisch wahrgenommen. Von intensiven, insesondere negativen Gefühlen beeinflusst, versucht die RP dann das Angst- oder Ärgerproblem durch “blindes” Nachdenken bzw. Grübeln zu lösen. Ist dies nicht möglich und wird das Problem nicht durch zielorientiertes Handeln gelöst, entsteht eine Endlosschleife an grübelndem Denken, die selbst wieder sehr belastend erlebt wird. Die Folge: Angst und Ärger bleiben bestehen, oder werden sogar stärker.
Umgekehrt kann die RP zwar auch Einfluss auf die EP nehmen, indem auf den Realitätsbezug und die Ausgewogenheit der eigenen Gedanken geachtet wird. Ist die EP jedoch “übersensibilisiert”, lässt sie sich nur mit viel Übung von der ausgewogenen Sicht auf die Realität “überzeugen”.
Rationale Psyche: Erfasst die Details einer Situation, ist eher reflexiv, handelt überlegt, langsam und bewusst, bewertet als richtig oder falsch, kommuniziert mittels Gedannen und Sprache. Es herrscht das Prinzip Kausalität (Aus A folgt B) und hat eine differenzierte aber oft unausgewogen verzerrte Sicht der Realität. Sie lernt durch Schlussfolgern und Regeln.